Vieles hat sich in den vergangenen drei Jahren tiefgreifend verändert. Über die besonderen Herausforderungen mit den Generationen Y und Z (heute ca. 20–40 Jährige) wurde schon vorher gesprochen. Stärker als vorher erscheint jetzt die Wechselbereitschaft als dringend zu beachtendes Phänomen. Stabile Arbeitsfähigkeit in wichtigen Funktionen ist in Frage gestellt.
Eine Studie des Trendence HR-Monitor November 2023 zeigt dieses Phänomen auf überraschend hohem Niveau. An zweiter Stelle mit 25% wird Mitarbeiterbindung als die zweitgrößte Herausforderung in 2024 angesehen. Und was jeder spürt: die Bindung nimmt generell immer mehr ab. Das Eigeninteresse rückt angesichts unsicherer Zukunftsperspektiven in den Fokus.
Im Zusammenhang mit dem Fachkräftemangel (Position 1 und 3 („Recruiting“) deutet sich hier eine Zeitbombe an. Besonders bedrohlich für die Qualifikationen, die schon jetzt besondere Aufmerksamkeit verdienen: IT-Spezialisten für Digitalisierung und KI-Anwendungen.
Akademiker/innen blickten sogar noch mehr als andere optimistisch in das Jahr 2024. Kein Wunder, aber eine Herausforderung für Führungskräfte und Recruiting.
Was tun
- Recruiting auf professionelles, zeit- und zielgruppengemäßes Niveau bringen.
- Viel interessanter aber noch ist die Retention-Frage: Wie verhindern Sie, dass gute Leute Sie als Chef und Ihr Unternehmen verlassen? Die Opportunitätskosten von unerwünschter Fluktuation brauche ich hier nicht vorrechnen.
Was begründet Wechselbereitschaft?
Ein besseres Entgelt wird natürlich als erstes genannt. Oft versteckt sich dahinter aber ein Anteil „Schmerzensgeld“ für mangelnde Führungsqualität und schlechtes Unternehmensklima. Ab einer bestimmten Gehaltssumme kommt es nicht mehr auf 1000€ mehr im Monat an. Wenn Führung und Zusammenarbeit, Klima und Zukunftsaussichten woanders mehrversprechend sind, reichen 1000€ Schmerzensgeld nicht.
Wenn aber schlechte Stimmung im Team und schlechte Mitarbeiterführung mit einer kritischen Lage des Unternehmens zusammenkommen, wird es eng. Ein Grund, über das grüne Gras anderswo nachzudenken. Die Besten werden woanders mit Handkuss genommen.
Was können Unternehmen tun?
Party, Incentives, Erfolgsboni? – das wird nicht reichen. „Man heuert bei einem Unternehmen an – verlassen tut man seinen Chef.“ Auch wenn es nicht ganz so einfach ist, lenkt diese Management-Weisheit den Blick in die richtige Richtung: Es geht um Qualitäten zwischenmenschlicher Verbindung wie Authentizität, offene Kommunikation, Sinn (Mission/Vision) und Team (Verbindlichkeit, Verlässlichkeit, Unterstützung), Die jüngeren Generationen (Y, Z) legen darauf viel mehr Wert. Höherqualifizierte sicherlich generell stärker, besonders aber die Generationen, die für die kommenden IT-Herausforderungen am ehesten mitbringen, was gebraucht wird: „eingefleischte“ digitale Kompetenzen.
Führungsqualität
Bevormundende Führungsstile (diktatorisch, patriarchalisch) sind schon aus dem Rennen. Aber auch ein bloß ergebnisorientierter „managerial“ Stil erreicht die beschriebenen Werte auch nicht.
Jenseits davon liegen persönlich interessiertere Führungsqualitäten wie der
- Facilitator, der Menschen ermutigt, ihren eigenen Weg zu finden,
- Kollaborator, der als Erster unter Gleichen aufgabenorientiert und menschenorientiert wirkt und halt die Gesamtverantwortung trägt,
- Servant („supportive“) Führungsstil:
Jan Carlsson (Ex-SAS-Chef) hatte das exemplarisch vorgeführt: SAS wurde wiederholt zur besten Fluglinie der Welt gekürt: alles Service – auch intern: Nicht Sie sind der Boss, der Mitarbeiter ist Ihr interner Kunde. Sie liefern, was er/sie objektiv und subjektiv braucht. Das zusammen mit einer Vision fürs Unternehmen kann begeistern, und die Wechselfrage stellt sich im besten Fall gar nicht.
Natürlich darf sich die passende Art von Umgang auch im ganzen System des Unternehmens wiederfinden. Operativ ist die hierarchische Pyramide auf den Kopf zu stellen: Verantwortung an die Operative übertragen, Effiziente Meetings usw. Keine Bange: Disziplinarisch ändert sich nichts. Das wird aber seltener benötigt, weil alle wirklichen Spaß an dieser Art von Erfolg haben.
Training hilft dabei – es spricht ein erfahrener Führungstrainer – nur, wenn das ganze System unter diese Vorzeichen gestellt wird. Coaching kann viel eingehender auf die entscheidenden Grundlagen bei Führungskräften Einfluss nehmen: Ein anderes Miteinander: Vertrauen/Kontrolle, Mitarbeiter als Mensch statt als Human Ressource, gewinnend statt kommandierend mit Zielen führen usw. Das stellt tiefgreifende Fragen an die eigene Person als Führungskraft. Aber es muss ganz oben beginnen, sonst wird es eine Form von New Work, wo junge Führungskräfte sich unten beweisen dürfen, in kritischen Fragen aber alleingelassen werden – das habe ich selbst erlebt und bin (auch als externer Trainer) gegangen.
Ressourcendenken oder Mitarbeiter entwickeln
Es mangelt auch an Fachkräften, wenn wir erwarten, perfekte Fachkräfte zu finden. Wir werden entweder oft enttäuscht sein oder wir haben sie teuer eingekauft – so machen wir das halt mit Ressourcen. Dennoch sind auch die „Hochpreisigen“ nicht fertig, auch wenn sie fachlich kompetent und nett/teamfähig sind. Im neuen Unternehmen ist Jede/r Anfänger/in. Sich bewähren in der Aufgabe, Vertrauen bei Kollegen gewinnen, seinen Platz im Team finden, die Besonderheiten seines Chefs kennenlernen und insgesamt die Unternehmenskultur, … Das trifft auf alle Generationen zu, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung.
In jedem Fall wird ein Führungsmodell wie Situativ Führen als Grundhaltung hilfreich sein. Warum das oft nicht angewandt wird? Weil es zwar vermittelbar, aber nicht antrainierbar ist. Führungskräfte, die maximal im managerial Level komfortabel sind, kriegen die coachenden Führungsstile nicht hin: „supportive“ ist nicht so sehr ihr Ding, wie fachliche und methodische Optimierung.